Justus Bier Preis 2024

Der mit 5.000 € dotierte Justus Bier Preis für Kuratoren –  seit 2009 zum sechzehnten Mal vergeben –
geht in diesem Jahr an die Kurator:innen Anke Blümm, Elizabeth Otto und Patrick Rössler


Ausgezeichnet werden sie für das Ausstellungsprojekt und die Publikation:

Bauhaus und Nationalsozialismus
Eine Ausstellung in drei Teilen: Museum Neues Weimar, Bauhaus Museum, Schiller Museum,
Weimar vom 9. Mai – 15. September 2024


Aus der Begründung der Jury:


Der Justus Bier Preis widmet sich seit 2009 Ausstellungsprojekten und Publikationen, die durch eine originelle Themenstellung und eine fundierte fachliche Aufarbeitung beeindrucken. Nach Ansicht der Jury verbindet das von Anke Blümm, Elizabeth Otto und Patrick Rössler gemeinschaftlich kuratierte dreiteilige Ausstellungsprojekt „Bauhaus und Nationalsozialismus“, Klassik Stiftung Weimar (9. Mai bis zum 15. Sep 2024, Museum Neues Weimar, Bauhaus Museum, Schiller Museum, Weimar) beide Aspekte auf exemplarische Weise.

Das 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründete Bauhaus gilt als eine der wichtigsten Kunstschulen des 20. Jahrhunderts. Bauhaus und Bauhäusler:innen wurden seitdem in ihrem Einsatz für eine avantgardistische Moderne und die innovative Umgestaltung vieler Lebensbereiche nicht nur in Deutschland gleichsam mythisch überhöht. Bauhaus und Fortschritt, demokratisches Engagement und funktionale Gestaltung wurden und werden oft synonym gebraucht. Nicht zufällig hat die europäische Union ein „New European Bauhaus“ ausgerufen, um der Transformation einer in die Krise geratenen klimaschädlichen Produktionsweise und ökologisch bedenklichen Wirtschaftsordnung neue kreative Energien zuzuführen.

Im Jahr 2024 sind mit Thüringen, Sachsen und Brandenburg gleich in drei Bundesländern neue Landtage gewählt worden. In dieser Situation hat die Klassik Stiftung Weimar im Rahmen des übergeordneten Themas „Auf /Bruch“ mit der Ausstellung bewusst die Ambivalenzen der Moderne und die Indienstnahme und Diffamierung von Kunst und Kultur durch die Politik in den Blick genommen. Mit der Jahresausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ wurde ein brisantes Thema aufgegriffen und unter schwierigen politischen Vorzeichen Zivilcourage gezeigt und Mut bewiesen.

Ohne sich von bestehenden Mythen und Vorurteilen leiten zu lassen, ist es der Ausstellung auf exemplarische Weise gelungen, neue und zum Teil unbequeme Perspektiven auf eine janusköpfige Moderne und die Bauhausgeschichte öffentlich sichtbar werden zu lassen und zur Diskussion zu stellen. Dem Ausstellungskatalog gelingt es zudem, in der Auseinandersetzung mit der politisch ästhetischen Struktur des Bauhauses kulturelle und politische Prozesse transparent und neuere wissenschaftliche Erkenntnisse für ein breites Publikum zugänglich zu machen. Beides erscheint in einer Zeit besonders wichtig, in der eine in Teilen gesichert rechtsextrem eingestufte Partei wieder flächendeckende Popularität erfährt.

An drei Ausstellungsorten in Weimar wurden die unterschiedlichen Wege erkundet, die Museumsleute, Künstlerinnen und Künstler im Umgang mit einem totalitären Herrschaftssystem eingeschlagen haben. Anhand von rund 450 Kunst- und Designobjekten aus Privatsammlungen und renommierten Museen in Europa und den USA wurde die komplexe politische Geschichte des Bauhauses bis zu seiner Schließung durch die Nationalsozialisten 1933 untersucht und die äußerst unterschiedlichen Lebenswege zahlreicher Bauhäusler:innen während der nationalsozialistischen Herrschaft mit beeindruckender Genauigkeit nachgezeichnet.

Im Museum Neues Weimar waren es „Politische Kämpfe um das Bauhaus 1919−1933“, die untersucht und kritisch beleuchtet wurden; im Bauhaus Museum ging es unter der Überschrift „Abgehängt – Beschlagnahmt – Angepasst 1930/1937“ um die Beschlagnahme der „entarteten Kunst“ 1937 und um ihre Vorläuferaktion 1930 in Weimar; und im Schiller-Museum beschäftigte sich die Ausstellung mit Bauhaus-Mitgliedern und ihren „Lebenswegen in der Diktatur 1933−1945“ und den schwierigen Gratwanderungen, die sie angesichts der neuen politischen Verhältnisse nach 1933 vollzogen. Viele verloren ihre Arbeit, flohen ins Exil; mindestens einundzwanzig Bauhäusler:innen wurden in NS-Gefängnissen oder Konzentrationslagern umgebracht. Die Mehrheit aber blieb unbehelligt in Deutschland. Ehemalige Bauhaus-Studierende beteiligten sich an nationalsozialistischen Propagandaausstellungen oder präsentierten ihre Werke auf Designmessen, entwarfen Filmplakate, Möbel, Haushaltswaren und sogar Hitlerbüsten. Dass eine innovative künstlerische Haltung nicht per se gegen die Verführbarkeit durch Ideologien schützt, macht die Rolle der Kunst in einer liberalen und weltoffenen Gesellschaft zu einem zentralen Thema der Ausstellung.

 


Die Preisverleihung findet n.n. statt.


Die Preisträger*innen:


Dr. Anke Blümm ist Co-Kuratorin der Ausstellung »Bauhaus und Nationalsozialismus« (Weimar 2024). Seit Dezember 2024 arbeitet sie als wissenschaftliche Koordinatorin der Kollegforschungsgruppe »Religion und Urbanität« am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt. Sie studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Heidelberg und Berlin und schloss ihre Dissertation zur Rezeption des Neuen Bauens 1933–1945 an der BTU Cottbus ab (Theodor-Fischer-Preis des ZIKG München, 2014). Danach fungierte sie als Projektkoordinatorin im DFG-geförderten Projekt »Bewegte Netze. Bauhaus-Angehörige und ihre Beziehungsnetzwerke in den 1930er und 1940er Jahren« an den Universitäten Cottbus (Prof. Dr. Magdalena Droste) und Erfurt (Prof. Dr. Dr. Patrick Rössler), wo sie die Datenbank zu den Bauhaus-Angehörigen maßgeblich mitverantwortete (https://bauhaus.community). Von 2016 bis 2024 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bauhaus-Museum der Klassik Stiftung Weimar, wo sie die Ausstellung zu Gerhard Marcks und seinem Freundeskreis (2017) kuratierte, die neue Dauerausstellung im Haus Am Horn (2019) und die Schau »Vergessene Bauhaus-Frauen. Lebensschicksale in den 1930er und 1940er Jahren« (2021, mit Patrick Rössler.


Dr. Elizabeth Otto ist Professorin für Kunstgeschichte mit Schwerpunkt auf moderner und zeitgenössischer europäischer Kunst und Medien sowie Gender- und Sexualitätsstudien an der University at Buffalo, State University of New York (seit 2004); dort Exekutivdirektorin des Humanities Institute (HI) (2013-19) und Direktorin des HI (2023- ). Promotion an der University of Michigan (2003), dafür Forschung an der TU Berlin (1999–2001) und der FU Berlin (2001–2003), unterstützt durch Stipendien des DAAD, des Center for the Education of Women, des Berlin Program for Advanced German and European Studies, der American Association of University Women und ein Postdoc-Stipendium der Queen's University. Als Professorin weitere Stipendien u. a. von der Alexander von Humboldt-Stiftung, dem Center for Advanced Studies der LMU München, dem Getty Research Institute, dem Institute for Advanced Studies in Princeton, dem National Humanities Center und dem US Holocaust Memorial Museum. Autorin von Tempo, Tempo! Bauhaus-Photomontagen von Marianne Brandt (2005), dem Katalog zur ersten von ihr kuratierten Ausstellung (im Bauhaus-Archiv Berlin, im International Center of Photography in New York und im Harvard Busch-Reisinger Museum). Preisträgerin des Peter C. Rollins Book Prize der Northeast Popular Culture Association für ihr Buch Haunted Bauhaus. Occult Spirituality, Gender Fluidity, Queer Identities, and Radical Politics (2019). Co-Autorin von Frauen am Bauhaus. Wegweisende Künstlerinnen der Moderne (2019). Seit 2019 forscht sie an ihrem nächsten Buch, Bauhaus Under Nazism: Creativity, Collaboration, and Resistance in Hitler's Germany, 1933–1945. Co-Kuratorin von »4 Bauhausmädels« (2019) und Mitherausgeberin von Büchern wie The New Woman International. Representations in Photography and Film from the 1870s through 1960s (2011), Passagen des Exils (2017), Art and Resistance in Germany (2018) und Bauhaus Bodies: Gender, Sexuality, and Body Culture in Modernism’s Legendary Art School (2019) sowie eine in Kürze erscheinende Sonderausgabe der Zeitschrift für Kunstgeschichte zum Thema »Archival Absences: An Incomplete History of Photography«.


Dr. phil, Dr. rer.soc. Patrick Rössler ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Empirische Kommunikationsforschung/Methoden an der Universität Erfurt (seit 2000), dort Dekan der Philosophischen Fakultät (2009-11) und Vizepräsident für Forschung und wiss. Nachwuchs (2011-14); zuvor Studium der Publizistik, Rechts- und Politikwissenschaft (JGU Mainz, 1982-86), Hochschul- und Projektmitarbeiter an der Uni Hohenheim (1987-1996) und der LMU München (1996-99), 2004 Gastprofessur an der Annenberg School for Communication (University of Southern California, Los Angeles, USA). Promotionen in Kommunikationswissenschaft (Uni Hohenheim, 1997) und Kunstgeschichte (BTU Cottbus-Senftenberg, 2022). Von 2006 bis 2008 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK), anschließend 2008-10 Präsident der International Federation of Communication Associations (IFCA, weltweiter Dachverband der kommunikationswissenschaftlichen Fachgesellschaften), seit 2011 Korrespondierendes Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels; Träger des Deutschen Preises zur Förderung der Buchkultur (Antiquaria-Preis, 2022). Forschung u.a. zu visueller Kommunikation in historischer Perspektive und zum Bauhaus; DFG-Projekt »Bewegte Netze. Bauhaus-Angehörige und ihre Beziehungsnetzwerke in den 1930er und 1940er Jahren« (mit M. Droste). Publikationen u.a. zur Bauhaus-Typografie, zu Herbert Bayer und zur Zeitschrift die neue linie; zahlreiche Ausstellungen zu Presse, Film und Bauhaus in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, den USA und Japan. (Co-)Kurator u.a. der Ausstellungen »mein reklame-fegefeuer. herbert bayer, werbegrafik 1928 – 1938« (2013/14), »Kunst.Ort.Kino. Historische Filmpublizistik 1917-1937« (2017), »Das Bauhaus wirbt« (2019), »4 Bauhausmädels« (2019), »Vergessene Bauhaus-Frauen« (2021/22), »Revolutionäre der Typographie« (2023) und »33 Geistesblitze: John Heartfied« (2024).

Justus Bier Preis 2023

Der mit 5.000 € dotierte Justus Bier Preis für Kuratoren –  seit 2009 zum fünfzehnten Mal vergeben –  geht in diesem Jahr an die Kuratorinnen Nóra Lukács und Melanie Roumiguiere zusammen mit dem Projektteam: Layla Burger-Lichtenstein, Projektleitung, Neuer Berliner Kunstverein; Krisztina Hunya, Co-Kuratorin Neuer Berliner Kunstverein; Yolanda Kaddu-Mulindwa, Co-Kuratorin Galerie im Körnerpark; Malte Giesen und Angela Lammert, Co-Kurator:innen Veranstaltungsprogramm Akademie der Künste; Kaspar Aebi und Natalie Keppler, Co-Kurator:innen Filmprogramm


Ausgezeichnet werden sie für das Ausstellungsprojekt und die Publikation:

If the Berlin Wind Blows my Flag. Kunst und Internationalisierung vor dem Mauerfall
Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.)


Aus der Begründung der Jury:


Der Justus Bier Preis widmet sich Ausstellungsprojekten und Publikationen, die durch eine originelle Themenstellung und eine fundierte fachliche Aufarbeitung beeindrucken. Nach Ansicht der Jury verbindet das Projekt „If the Berlin Wind Blows My Flag. Kunst und Internationalisierung vor dem Mauerfall“ das der Neue Berliner Kunstverein (n.b.k.) in Kooperation mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD entwickelt hat, beides auf exemplarische Weise.

„If the Berlin Wind Blows My Flag“ lenkt den Blick anhand der Geschichte des Berliner Künstlerprogramms (BKP) auf die vielfältigen künstlerischen Szenen im West-Berlin vor dem Mauerfall. Von 1963 an wurden im Rahmen des von der US-amerikanischen Ford Foundation gegründeten Residenzprogramms Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt in die geteilte Stadt eingeladen. Das Programm wurde ab 1965 durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) weitergeführt. West-Berlin als „Insel“ inmitten des Territoriums der DDR sollte in Zeiten des Kalten Krieges davor bewahrt werden, in kultureller Isolation zu erstarren. Die Erschließung und Digitalisierung des Archivs des BKP hat es möglich gemacht, die Gründungsgeschichte des Programms anhand von Dokumenten und Objekten erstmals zum Thema zu machen. Dabei wurden institutionelle Handlungsformen zur Debatte gestellt, vergangene und aktuelle künstlerische Projekte in einem stadtgeschichtlichen und kunsthistorischen Kontext reflektiert.

Ein Großteil der gezeigten Werke stammt aus Sammlungen Berliner Institutionen und Galerien, deren Bestände nicht selten durch die Mitwirkung an den Aktivitäten des BKP geprägt wurden. Um das Archiv als künstlerischen Resonanzraum zu aktivieren, wurden über das Historische hinaus in Berlin lebende Künstler:innen und Fellows eingeladen, geschichtliche Zusammenhänge aus gegenwärtiger Perspektive zu kommentieren.

Von Isolation oder Erstarrung der West-Berliner Kunstszene ist im Rückblick erstaunlich wenig festzustellen. Im Gegenteil. Vieles von dem, was in der Ausstellung präsentiert wird, belegt, wie attraktiv, wie lebendig und auf welch neugierige und anregende Weise die Berliner Szenen in Sachen Kunst, Literatur, Musik etc. untereinander vernetzt waren – und wie vieles weitergewirkt hat. Geschichte wird hier somit nicht abstrakt als offiziöse Großerzählung vorgestellt, sie wird vielmehr als ein (in West-Berlin gleichsam zwischen den Zeiten entstandenes) provisorisches Kontinuum begreifbar. Das Projekt erinnert also nicht nur an mehr oder weniger anregende künstlerische Positionen; es bezieht auch die politischen Implikationen des Austauschs und der Internationalisierung mit ein: Welche Rolle spielte das Berliner Künstlerprogramm in Zeiten des Kalten Krieges? Welche Ein- und Ausschlussmechanismen waren wirksam? Welche Bedeutung gewann der öffentliche Raum für Diskussionen und die Teilhabe an künstlerischen Positionen und Prozessen? Und schließlich: Was davon wirkt bis heute nach?

Konsequenterweise wurde „If the Berlin Wind Blows My Flag“ als Kooperationsprojekt realisiert. Unterschiedliche Aspekte wurden an drei verschiedenen Orten – im n.b.k., in der daadgalerie und in der Galerie im Körnerpark – präsentiert; Veranstaltungen in der Akademie der Künste und an weiteren Orten beleuchteten die kulturpolitische Ausrichtung und die verschiedenen Rollen, die das Programm während des Kalten Krieges spielte. Womit die Kuratorinnen Nóra Lukács und Melanie Roumiguière (gemeinsam mit ihren assoziierten Kolleg:innen Kaspar Aebi, Layla Burger-Lichtenstein, Malte Giesen, Krisztina Hunya, Yolanda Kaddu-Mulindwa, Natalie Keppler und Angela Lammert) auch das Ausstellen historischer Positionen und Konstellationen reflektieren und auf deren Stellenwert in der kulturellen Entwicklung der Stadt verweisen konnten.

Die Jury hat mit der Vergabe des Justus Bier Preises 2024 an „If the Berlin Wind Blows My Flag“ diesmal – auch um dem Wandel auf diesem Feld gerecht zu werden – ein Ausstellungsprojekt ausgezeichnet, das nicht von einem gedruckten Katalog, sondern von einem kostenlos als pdf herunterzuladenden Booklet begleitet wird.

 


Die Preisverleihung findet am 7. Mai um 19 Uhr im Neuen Berliner Kunstverein statt.


Die Preisträgerinnen:


Nóra Lukács ist Kunsthistorikerin und unabhängige Kuratorin. Derzeit promoviert sie mit einem Elsa Neumann Stipendium an der Humboldt-Universität Berlin, wo sie als Gastdozentin Kurse zu Methoden der Archivforschung unterrichtet hat. Gemeinsam mit Melanie Roumiguière konzipierte und kuratierte sie das Forschungs- und Ausstellungsprojekt If The Berlin Wind Blows my Flag. Kunst und Internationalisierung vor dem Mauerfall , das 2023 als Kooperationsprojekt des Neuen Berliner Kunstvereins und des Berliner Künstlerprogramms des DAAD in Kooperation mit der Galerie im Körnerpark und der Akademie der Künste realisiert wurde. Zuvor arbeitete sie für die Museen K20 K21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, wo sie Sammlungspräsentationen sowie Ausstellungen mit Pamela Rosenkranz und Alberto Burri kuratierte und im Rahmen des Forschungsprojekts museum global und der resultierenden „Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne“ die Präsentation von Amrita Sher-Gil und Niko Pirosmani verantwortete. Bevor sie nach Deutschland zog, arbeitete Lukács unter anderem für das Goethe-Institut Budapest und das Modem Art Center in Debrecen und initiierte Projekte von Igor Metropol Budapest, einem unabhängigen Kunstverein, dessen Gründungsmitglied und Vorstandsmitglied sie ist. Lukács studierte Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften in Budapest und Berlin und absolvierte ein postgraduales Programm in Beirut und Jerewan.


Melanie Roumiguière ist Kulturwissenschaftlerin und Kuratorin und leitet die Abteilung Bildende Künste des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. In diesem Zusammenhang realisierte sie u. a. Ausstellungen mit Iman Issa, Paola Yacoub, Renée Green, Zinny/Maidagan, Saba Innab und Malgorzata Mirga Tas. Sie initiierte und konzipierte das Projekt zur Erschließung und Digitalisierung des Archivs des Berliner Künstlerprogramms und bildete damit die Grundlage für die Zugänglichmachung des Archivs und die Aufarbeitung der Institutionsgeschichte des Residenzprogramms aus kritischer Perspektive. Gemeinsam mit Nora Lukacs entwickelte und kuratierte sie das Forschungs- und Ausstellungsprojekt If The Berlin Wind Blows My Flag. Kunst und Internationalisierung vor dem Mauerfall, das 2023 als Kooperationsprojekt des Neuen Berliner Kunstvereins und des Berliner Künstlerprogramms des DAAD in Kooperation mit der Galerie im Körnerpark und der Akademie der Künste realisiert wurde. Sie arbeitete als Kuratorin und Ausstellungsleiterin im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst – Berlin, wo sie Teil des Kurator:innenteams des Projekts Hello World. Revision einer Sammlung war und u. a. Ausstellungen mit Mariana Castillo Deball, Michael Beutler und Gülsün Karamustafa verantwortete. Sie ist die Herausgeberin der ersten umfassenden Monografien zum Werk von Mariana Castillo Deball, Gülsün Karamustafa und Minerva Cuevas. Bevor sie zum Hamburger Bahnhof kam, war sie als kuratorische Assistentin für die documenta 13 in Kassel und am MACBA in Barcelona tätig. In beratender Funktion ist sie Teil verschiedener Projekte, Jurys und Gremien im Bereich zeitgenössischer Bildender Kunst, wie etwa am Museum für bildende Kunst Leipzig, dem ZKU oder dem Künstlerhaus Bethanien.

Justus Bier Preis 2022

Der mit 5.000 € dotierte Justus Bier Preis für Kuratoren –  seit 2009 zum vierzenten Mal vergeben –  geht in diesem Jahr an die Kuratorinnen Dr. Britta Buhlmann und Dr. Annette Reich


Ausgezeichnet werden sie für das Ausstellungsprojekt und die Publikation:

Hans Hofmann: Chimbote – Farben für die Neue Stadt
9. April -18. September 2022
Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern


Aus der Begründung der Jury:


Der Justus Bier Preis widmet sich Ausstellungsprojekten und Publikationen, die durch eine herausragende Themenstellung und eine fundierte fachliche Aufarbeitung beeindrucken. Für das Jahr 2022 geht der Preis an das Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern und dort an das Ausstellungsprojekt HANS HOFMANN CHIMBOTE - FARBEN FÜR DIE NEUE STADT, welches die Kuratorin Annette Reich zusammen mit der ehemaligen langjährigen Leiterin des Museums und Herausgeberin des Katalogs, Britta Buhlmann, für das Haus realisiert hat.

Mit dem Preis ehrt die Jury nicht nur diese Schau, sondern zugleich auch die mehrteilige, groß angelegte Ausstellungsreihe, welche die Pfalzgalerie in den letzten Jahren dem Werk des deutsch-amerikanischen Künstlers Hans Hofmann gewidmet hat, der als Mittler zwischen der europäischen Vorkriegs- und der amerikanischen Nachkriegs-Avantgarde den Aufbruch zahlreicher Künstler prägte, die später Weltgeltung erlangten.

Nach dem malerischen und dem zeichnerischen Werk wurden zuletzt die Entwürfe vorgestellt, die Hofmann im Jahr 1950 für ein Wandbild und die Gestaltung eines Platzes in der peruanischen Hafenstadt Chimbote schuf. Sie entstanden im Rahmen eines interdisziplinären städtebaulichen Erneuerungsprojekts. Stadtplaner, Architekten und Künstler entwickelten damals gemeinsam Ideen für eine menschenfreundliche Zukunft der Städte. Auch wenn es aus politischen Gründen unrealisiert blieb, fasziniert das Chimbote-Projekt nach wie vor.

Neben der Einordnung dieser als vollgültige Bilder ausgeführten Entwürfe in Hans Hofmanns Werk gewinnt die Ausstellung auch Bedeutung durch die Aktualität des Nachdenkens über Probleme, die uns heute zu entgleiten drohen. Das Chimbote-Projekt stellte sich ihnen schon vor 80 Jahren - mit verblüffenden Lösungsansätzen, die Innovatives mit Überkommenem verbanden, etwa das Konzept einer autofreien Innenstadt mit der Nutzung eines Wassersystems aus der Inkazeit.

Hinter all dem stand die utopische Überzeugung, mit moderner Kunst das Leben der Menschen verbessern zu können. Wie ein Brennglas bündelte diese Ausstellung wichtige Aspekte der künstlerischen Diskussion Mitte des letzten Jahrhunderts und stellte damit Überlegungen zu Autonomie, Verantwortung und sozialer Potenz der Kunst neu zur Debatte, die heute mehr denn je virulent sind.

 


Die Preisverleihung findet am Donnerstag, den 15. Juni um 19 Uhr im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern statt.


Die Preisträgerinnen:


Dr. Britta E. Buhlmann (*1956), geboren in Büdesheim (Hessen), war bis März 2022 Direktorin des Museums Pfalzgalerie Kaiserslautern (mpk). 1975 bis 1983 studierte sie Kunstgeschichte, Geschichte, ev. Theologie und Archäologie an den Universtäten von Frankfurt/Main, Zürich und Bonn. Nach einem Volontariat 1984/85 am Hessischen Landesmuseum Darmstadt wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Krefelder Kunstmuseen. Bis zu ihrem Wechsel nach Kaiserslautern führte sie von 1988 bis 1994 als Direktorin die Städtischen Galerie Würzburg. Sie ließ die Museumsräume sanieren und öffnete die Sammlung durch Ankäufe und Ausstellungen hin zur Moderne. Darüber hinaus entwickelte sie erste Pläne für den Kulturspeicher im Alten Hafen und knüpfte enge Kontakte zu Peter Ruppert, dessen Sammlung konkreter Kunst tragender Bestandteil des neuen Museums wurde. Als Lehrbeauftragte vermittelte sie moderne und zeitgenössische Kunstgeschichte an den Universitäten von Würzburg, Saarbrücken, Kaiserslautern und Heidelberg. Dort wirkte sie zwischen 2000 und 2003 als Mitglied des Gründungsuniversitätsrats. Von 2019 bis 2022 füllt sie diese Funktion im Universitätsrat der TU Kaiserslautern aus. Am mpk ließ Räume, Archive und Werkstätten stetig renovieren; sie professionalisierte die Ausstattung und erweiterte den Mitarbeiterstab des Hauses. In zahlreichen Ausstellungen präsentierte sie Künstler wie Carmen Herrera, Adolph Gottlieb, Charles Pollock, Pierette Bloch, Georgia Russel oder Eva Jospin erstmals in Deutschland mit musealen Einzelausstellungen, Nobuyuki Tanaka und Kubra Khademi erstmals in Europa.


Dr. Annette Reich (*1965), geb. in Ulm/Donau, ist seit 2004 stellvertretende Direktorin des Museums Pfalzgalerie Kaiserslautern und seit 2001 leitet sie dort die Gemälde- und Skulpturensammlung. Ihr Studium der Europäischen Kunstgeschichte, der Mittleren und Neueren Geschichte sowie Slavistik schloss sie 1992 an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg mit dem Magister Artium ab. 1998 promovierte sie bei Prof. Dr. Peter Anselm Riedl. Für ihre Dissertation zum Thema „Avantgardistische Strömungen in der tschechischen Bildhauerei von der Jahrhundertwende bis zum Ende der Ersten Tschechoslowakischen Republik“ wurde sie als DFG-Stipendiatin mit dem Ruprecht-Karls-Preis der Universität Heidelberg ausgezeichnet. Weitere Förderungen erhielt sie über das Herrmann-Aubin-Stipendium und die Erwin-Brünisholz-Stiftung. Der Schwerpunkt ihrer Publikations- und Ausstellungstätigkeit liegt im Bereich der Malerei und Bildhauerei bzw. Plastik des 20. und 21. Jahrhunderts. Als Kuratorin realisierte sie zahlreiche Ausstellungsprojekte u.a. zu Boris Becker, Franz Bernhard, Norbert Frensch, Werner Haypeter, Katharina Hinsberg, Camill Leberer, François Morellet, Werner Pokorny, Georgia Russell, Robert Schad, Qiu Shihua, Phil Sims, Nobuyuki Tanaka und anderen. Eine intensive Beschäftigung mit Leben und Werk des deutsch-amerikanischen Künstlers Hans Hofmann erfolgte, auch als Kuratorin, in Zusammenarbeit mit dem Renate, Hans und Maria Hofmann Trust in New York, während der Jahre 2013, 2018 und 2022. Bei ihrer langjährigen Vermittlungsarbeit legte und legt sie bis heute den Fokus auf interdisziplinäre Wahrnehmungen und Sichtweisen.

Justus Bier Preis 2021

Der mit 5.000 € dotierte Justus Bier Preis für Kuratoren –  seit 2009 zum dreizehnten Mal vergeben –  geht in diesem Jahr an die Kuratorin Annabelle Görgen-Lammers


Ausgezeichnet wird sie für das Projekt und die Publikation:

TOYEN 1902-1980 an der Kunsthalle Hamburg
24. September 2021 – 13. Februar 2022

 


Aus der Begründung der Jury:


Der Justus Bier Preis widmet sich Ausstellungsprojekten und Publikationen, die durch eine herausragende Themenstellung und eine fundierte fachliche Aufarbeitung beeindrucken. Die Ausstellung zur tschechischen Künstlerin TOYEN, von der Kunsthistorikerin Dr. Annabelle Görgen-Lammers an der Hamburger Kunsthalle initiiert und konzipiert, erfüllt beide Kriterien auf eindrucksvolle Weise.

Marie Cerminova (1902-1980) die unter dem Künstlernamen Toyen firmierte, lebte in Prag und war Mitbegründerin der surrealistischen Gruppe in der Tschechoslowakei. Von 1925-1929 hielt sie in Paris auf, wohin sie 1947 nach der Okkupation Prags durch die Nationalsozialisten emigrierte und 1980 verstarb. Im Rahmen des von ihr in den 1920er Jahren mitbegründeten „Artifizialismus“ näherte sich ihr Werk um 1932 dem Surrealismus, mit dessen französischen Vertretern sie von 1934 an in lebenslangem engen künstlerischen und freundschaftlichen Austausch stand. Allein die Tatsache, dass ihr in Deutschland selbst in Fachkreisen wenig bekanntes Werk mit der umfangreichen Schau erstmals einem breiteren Publikum vorgestellt wird, verdient Anerkennung. In diesem Sinne reiht sich die Ausstellung in die Serie der kritischen Korrektur des westlich geprägten, kunsthistorischen Kanons. Gerade im Kreis der Surrealisten waren zahlreiche Künstlerinnen tätig, die in der westlichen Kunstgeschichte stark unterrepräsentiert geblieben sind. Mit der kuratorisch und wissenschaftlich vorbildhaft aufgearbeiteten Ausstellung TOYEN gelingt somit eine relevante historische Aufarbeitung.

Die Ausstellung und der Katalog entfalten die unterschiedlichen Schaffensphasen der Künstlerin in Prag und im Exil, im Umfeld der tschechischen wie auch der Pariser Surrealisten mit umfangreichen, sehr beeindruckenden Werkgruppen und ihrem jeweiligen historischen Kontext. Deutlich zeigt sich dabei, dass Toyens bis heute eher geringer Bekanntheitsgrad trotz zahlreicher Ausstellungen zu Lebzeiten letztlich nur durch verborgene Ausschlusskriterien innerhalb der Kunstgeschichtsschreibung zu erklären ist. Die Ausstellung mit Katalog ermöglicht es, die wichtige surrealistische Künstlerin nicht nur neu wieder zu entdecken, sondern ihre Wirksamkeit in ihrem historischen Umfeld zu begreifen.

Diese kuratorische Pionierleistung manifestiert sich auch in einer institutionellen Kooperation, die Vorbildcharakter hat. Der Lebenstangente der Künstlerin entsprechend und im Sinne europäischen Wissensaustauschs wurde das Projekt der Hamburger Kunsthalle gemeinsam mit der Nationalgalerie Prag, wie auch dem Musée d`Art Moderne de Paris entwickelt und an allen drei Stationen gezeigt. Durch die Einbindung der Dichterin und ehemaligen Arbeitspartnerin der Künstlerin, Annie Le Brun wurden bisher unbekannte Zusammenhänge erschlossen. Die Expertise im tschechischen Surrealismus durch Anna Pravdova trug ebenfalls substantiell dazu bei, dass gemeinsam neue Wissensfelder und teilweise bisher nicht publizierte Dokumente in Ausstellung und Katalog erfasst werden konnten. Dr. Annabelle Görgen-Lammers, die einen Forschungsschwerpunkt im Surrealismus gelegt hat, ist es zu verdanken, dass unterschiedliche Expertisen für das Projekt zusammenwirken konnten. Bemerkenswert ist das Projekt nicht nur, weil nun ein umfangreicher Katalog in Deutsch, Englisch, Tschechisch und Französisch vorliegt, sondern auch durch die Tatsache, dass die Ausstellungen jeweils nach den spezifischen Belangen des eigenen Publikums an den jeweiligen Orten unterschiedlich in Auswahl, Kontextualisierung und Präsentation gestaltet wurden.

Im Sinne einer grundlegenden Wiederentdeckung wurde die Ausstellung in Hamburg chronologisch gehängt, überzeugend in Anlehnung an historische surrealistische Ausstellungsdisplays inszeniert und einleuchtend mit dokumentarischen Materialien, begleitenden Texten und kurzen Filmen kontextualisiert. Der Katalog beeindruckt dadurch, dass er, neben der Aufarbeitung der unterschiedlichen Rezeptionsgeschichten in West- und Osteuropa auch historische Texte, u.a. von Karel Teige, Jindrich Heisler, Jan Mukarowsky erstmals zugänglich macht. Ausstellung und Katalog gelingt es so auf bestechende Weise sowohl interessierte Laien wie auch das Fachpublikum für das Werk der Künstlerin zu begeistern, und gleichzeitig ein wichtiges Kapitel der europäischen Kunst- und Kulturgeschichte durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu bereichern.

 


Die Preisverleihung findet am 4. Oktober 2022, um 19 Uhr, in der Kunsthalle Hamburg statt.


Die Preisträgerin:


Annabelle Görgen-Lammers (*1969), Dipl.-Des. MA ist seit 2004 Wissenschaftlerin, Kuratorin und Projektleiterin an der Hamburger Kunsthalle. Sie studierte an der Universität Hamburg und der Künstlerisch-wissenschaftlichen Hochschule Braunschweig Kunstgeschichte, Kunst- und Medienwissenschaften (M.A. 1999), parallel dazu Kunst und Design an der HAW Hamburg und École de beaux-arts Paris (Dipl.-Des. mit Auszeichnung 1996); 2003 wurde sie mit der kunsthistorischen Dissertation Die Ausstellung als Werk: L’Exposition internationale du surréalisme, Paris 1938, und Einflüsse aus dem 19. Jahrhundert mit summa cum laude promoviert. Während des Studiums umfangreiche freiberufliche Tätigkeiten im kuratorischen und vermittelnden Museumsbereich an verschiedenen Institutionen im In- und Ausland, u.a. Eremitage Sankt Petersburg. Im Anschluss an ein wissenschaftliches Volontariat an der Hamburger Kunsthalle (1999-2001) freie kuratorische Projektleitungen, Konzeption diverser Symposien zur Kunstvermittlung sowie kontinuierliche Lehrtätigkeiten an verschiedenen Hochschulen (u.a. Gastprofessur HbK Braunschweig 2003-2010). Neben neuen epochenübergreifenden Sammlungspräsentationen (u.a. Das Transparente Museum; Das Hamburger Kinderzimmer/Spielraum für den Anfang der Kritik mit O. Eliasson) kuratierte sie für die Hamburger Kunsthalle international präsentierte Ausstellungen zum späten 19. und 20. Jahrhundert, u.a. De Chirico. Magische Wirklichkeit (2.-5.2021, in Kooperation mit Orsay, Paris); Surreale Begegnungen aus den Sammlungen Penrose, James, Pietzsch, Keiller (10.2016-2.2018, in Kooperation mit Scottish National Gallery, Edinburgh, Boijmans van Beuningen, Rotterdam); Giacometti. Die Spielfelder (1.-5.2013). Helene Schjerfbeck. Erste Retrospektive (2.-5.2007). Sie ist ehrenamtlich in diversen Stiftungsräten tätig, u.a. Kunststiftung Sachsen-Anhalt, und hat zahlreiche wissenschaftliche Texte im In- und Ausland zur Kunst des späten 19. und 20. Jahrhunderts publiziert.

Justus Bier Preis 2020

Der mit 5.000 € dotierte Justus Bier Preis für Kuratoren – seit 2009 zum zwölften Mal vergeben – geht in diesem Jahr an die Kuratoren Ute Stuffer und Axel Heil


Ausgezeichnet werden sie für das Projekt und die Publikation:

 

Mondjäger: Nathalie Djurberg & Hans Berg im Dialog mit Asger Jörn,
Kunstmuseum Ravensburg, 19.10.2019 – 16.02.2020

 


Aus der Begründung der Jury:


Der Justus Bier Preis widmet sich Ausstellungsprojekten und Publikationen, die durch eine originelle Themenstellung und eine fundierte fachliche Aufarbeitung beeindrucken. Beides ist nach Meinung der Jury mit dem Projekt /Mondjäger/ beispielhaft gelungen. Die auf den ersten Blick durchaus überraschende Kombination der Stop-Motion-Filme des schwedischen Künstlerpaares Nathalie Djurberg/Hans Berg (*1978) mit den Skulpturen und Gemälden des Dänen Asger Jorn (1914–1973) erweist sich dabei als hochproduktiver Ansatz, um überraschende und bislang nicht gesehene Parallelen in den beiden – auch zeitlich weit voneinander entfernte – /Œuvres/ freizulegen. Instruktiv und ohne jede didaktische Formatierung wird in der Ausstellung wie auch der begleitenden Publikation deutlich, wie sehr beide künstlerische Universen von dem Prinzip einer alles umfassenden Transformation und Metamorphose geprägt sind. Die starkfarbigen Knetfiguren Djurbergs, die sich in einem Prozess fortlaufender Ver- und Umformung befinden, erweisen sich auf dieser Ebene als generische Verwandte zu den expressiven Gestaltwandlern, die in den dynamisch bewegten Farbmassen und -strudeln Asger Jorns auftauchen. Beide Werke betreiben dabei eine kontinuierliche Vermischung zwischen tierischen und menschlichen Wesen, in der sich ein gemeinsames künstlerisches Plädoyer für das Animalische, Wilde, Ungezügelte und eine Absage an eine rein rationale Weltauffassung erkennen lässt. Auch im Hinblick auf die Rolle der Farbe als Ausdruck von existenzieller Befindlichkeit und das Bekenntnis zum Primat der Deformation wie auch der ästhetischen Grenzüberschreitung berühren sich die künstlerischen Positionen. Die Ausstellung, die von Ute Stuffer, Direktorin des Kunstmuseum Ravensburg, und Axel Heil entwickelt wurde, der mit dem von ihm und Roberto Ohrt verantworteten Projekt zu Aby Warburgs Mnemosyne-Atlas für das Haus der Kulturen der Welt in Berlin zu Recht viel Beachtung erfahren hat, ordnet sich überzeugend in das programmatische Profil des Kunstmuseum Ravensburg ein, umfasst doch die am Haus befindliche Sammlung Selinka ein Konvolut von Arbeiten Asger Jorns. Die Publikation übersetzt mit klugem Layout durch das Studio S/M/L Berlin, instruktiven Bildvergleichen und substanziellen Textbeiträgen von Axel Heil, Katharina Dohm, Selima Niggl und Lucas Haberkorn auf vorbildliche Weise die Argumentationslinien der Ausstellung und macht sie damit auch im Medium des Buches nachvollziehbar.

 


Die Preisverleihung findet am 19. November 2021 im Kunstmuseum Ravensburg statt.


Die Preisträger*in:


Ute Stuffer (*1975) ist seit 2018 Direktorin des Kunstmuseums Ravensburg. Sie studierte Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe bei Wolfgang Ullrich und Beat Wyss. Anschließend als freie Mitarbeiterin am MNK (Museum für Neue Kunst in Karlsruhe), ab 2008 als Kuratorin am Kunstverein Hannover tätig. Ute Stuffer realisierte zahlreiche Einzelausstellungen u. a. mit Emeka Ogboh, Sophie Calle, Martha Jungwirth, Erik van Lieshout, Susan Philipsz, Christoph Girardet & Matthias Müller, Markus Schinwald, Leigh Bowery oder zum Werk Ernst Ludwig Kirchners. Als Ko-Kuratorin war sie für die Konzeption und Realisierung verschiedener thematischer Gruppenausstellungen verantwortlich u. a. Face it! Im Selbstgespräch mit dem Anderen, Digital Archives, Mental Diary, sowie als Mitglied des kuratorischen Teams der Ausstellung Made in Germany II/III. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche Texte publiziert und trat als Herausgeberin verschiedener Publikationen in Erscheinung.


Axel Heil (*1965) ist Künstler, Kurator, Autor und seit 2001 Professor für „Experimentelle Transferverfahren und Artistic Research“ an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Er studierte Malerei in Karlsruhe, Paris und Den Haag, sowie Kunstgeschichte und Ethnologie in Heidelberg und Berlin. 1999 gründete er fluid, als Plattform für unterschiedlichste Aktivitäten. Seit 2008 Herausgeber der Serie „The Future of the Past“ (Buchhandlung Walther König, Köln), Monographien zu Künstler*innen der 1960er-Jahre. Das Themenspektrum seiner Essays reicht von Pablo Picasso bis Asger Jorn, Jacqueline de Jong und der Situationistischen Internationale, von John Armleder und Nathalie Djurberg bis zu einer ganz jungen Generation von Künstler*innen. Als Kurator und Co-Kurator entwickelte er zahlreiche Ausstellungen u. a. für das Museum Folkwang in Essen, die Deichtorhallen Hamburg – Sammlung Falckenberg, das Museum Jorn, Silkeborg, oder das ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe. Die Forschungen von Roberto Ohrt und Axel Heil zur Rekonstruktion von Warburgs Bilderatlas mündeten 2020 in der Ausstellung „Aby Warburg – Bilderatlas Mnemosyne. Das Original im Haus der Kulturen“, Berlin, und der Publikation des Atlas in Zusammenarbeit mit dem Warburg Institute, London, und dem HK, Berlin, im Verlag Hatje Cantz.