Der mit 5.000 € dotierte Justus Bier Preis für Kuratoren –  seit 2009 zum sechzehnten Mal vergeben –
geht in diesem Jahr an die Kurator:innen Anke Blümm, Elizabeth Otto und Patrick Rössler


Ausgezeichnet werden sie für das Ausstellungsprojekt und die Publikation:

Bauhaus und Nationalsozialismus
Eine Ausstellung in drei Teilen: Museum Neues Weimar, Bauhaus Museum, Schiller Museum,
Weimar vom 9. Mai – 15. September 2024


Aus der Begründung der Jury:


Der Justus Bier Preis widmet sich seit 2009 Ausstellungsprojekten und Publikationen, die durch eine originelle Themenstellung und eine fundierte fachliche Aufarbeitung beeindrucken. Nach Ansicht der Jury verbindet das von Anke Blümm, Elizabeth Otto und Patrick Rössler gemeinschaftlich kuratierte dreiteilige Ausstellungsprojekt „Bauhaus und Nationalsozialismus“, Klassik Stiftung Weimar (9. Mai bis zum 15. Sep 2024, Museum Neues Weimar, Bauhaus Museum, Schiller Museum, Weimar) beide Aspekte auf exemplarische Weise.

Das 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründete Bauhaus gilt als eine der wichtigsten Kunstschulen des 20. Jahrhunderts. Bauhaus und Bauhäusler:innen wurden seitdem in ihrem Einsatz für eine avantgardistische Moderne und die innovative Umgestaltung vieler Lebensbereiche nicht nur in Deutschland gleichsam mythisch überhöht. Bauhaus und Fortschritt, demokratisches Engagement und funktionale Gestaltung wurden und werden oft synonym gebraucht. Nicht zufällig hat die europäische Union ein „New European Bauhaus“ ausgerufen, um der Transformation einer in die Krise geratenen klimaschädlichen Produktionsweise und ökologisch bedenklichen Wirtschaftsordnung neue kreative Energien zuzuführen.

Im Jahr 2024 sind mit Thüringen, Sachsen und Brandenburg gleich in drei Bundesländern neue Landtage gewählt worden. In dieser Situation hat die Klassik Stiftung Weimar im Rahmen des übergeordneten Themas „Auf /Bruch“ mit der Ausstellung bewusst die Ambivalenzen der Moderne und die Indienstnahme und Diffamierung von Kunst und Kultur durch die Politik in den Blick genommen. Mit der Jahresausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ wurde ein brisantes Thema aufgegriffen und unter schwierigen politischen Vorzeichen Zivilcourage gezeigt und Mut bewiesen.

Ohne sich von bestehenden Mythen und Vorurteilen leiten zu lassen, ist es der Ausstellung auf exemplarische Weise gelungen, neue und zum Teil unbequeme Perspektiven auf eine janusköpfige Moderne und die Bauhausgeschichte öffentlich sichtbar werden zu lassen und zur Diskussion zu stellen. Dem Ausstellungskatalog gelingt es zudem, in der Auseinandersetzung mit der politisch ästhetischen Struktur des Bauhauses kulturelle und politische Prozesse transparent und neuere wissenschaftliche Erkenntnisse für ein breites Publikum zugänglich zu machen. Beides erscheint in einer Zeit besonders wichtig, in der eine in Teilen gesichert rechtsextrem eingestufte Partei wieder flächendeckende Popularität erfährt.

An drei Ausstellungsorten in Weimar wurden die unterschiedlichen Wege erkundet, die Museumsleute, Künstlerinnen und Künstler im Umgang mit einem totalitären Herrschaftssystem eingeschlagen haben. Anhand von rund 450 Kunst- und Designobjekten aus Privatsammlungen und renommierten Museen in Europa und den USA wurde die komplexe politische Geschichte des Bauhauses bis zu seiner Schließung durch die Nationalsozialisten 1933 untersucht und die äußerst unterschiedlichen Lebenswege zahlreicher Bauhäusler:innen während der nationalsozialistischen Herrschaft mit beeindruckender Genauigkeit nachgezeichnet.

Im Museum Neues Weimar waren es „Politische Kämpfe um das Bauhaus 1919−1933“, die untersucht und kritisch beleuchtet wurden; im Bauhaus Museum ging es unter der Überschrift „Abgehängt – Beschlagnahmt – Angepasst 1930/1937“ um die Beschlagnahme der „entarteten Kunst“ 1937 und um ihre Vorläuferaktion 1930 in Weimar; und im Schiller-Museum beschäftigte sich die Ausstellung mit Bauhaus-Mitgliedern und ihren „Lebenswegen in der Diktatur 1933−1945“ und den schwierigen Gratwanderungen, die sie angesichts der neuen politischen Verhältnisse nach 1933 vollzogen. Viele verloren ihre Arbeit, flohen ins Exil; mindestens einundzwanzig Bauhäusler:innen wurden in NS-Gefängnissen oder Konzentrationslagern umgebracht. Die Mehrheit aber blieb unbehelligt in Deutschland. Ehemalige Bauhaus-Studierende beteiligten sich an nationalsozialistischen Propagandaausstellungen oder präsentierten ihre Werke auf Designmessen, entwarfen Filmplakate, Möbel, Haushaltswaren und sogar Hitlerbüsten. Dass eine innovative künstlerische Haltung nicht per se gegen die Verführbarkeit durch Ideologien schützt, macht die Rolle der Kunst in einer liberalen und weltoffenen Gesellschaft zu einem zentralen Thema der Ausstellung.

 


Die Preisverleihung findet am 23. Juni, um 18 Uhr, im Festsaal des Goethe-Nationalmuseum Weimar statt.


Die Preisträger*innen:


Dr. Anke Blümm ist Co-Kuratorin der Ausstellung »Bauhaus und Nationalsozialismus« (Weimar 2024). Seit Dezember 2024 arbeitet sie als wissenschaftliche Koordinatorin der Kollegforschungsgruppe »Religion und Urbanität« am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt. Sie studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Heidelberg und Berlin und schloss ihre Dissertation zur Rezeption des Neuen Bauens 1933–1945 an der BTU Cottbus ab (Theodor-Fischer-Preis des ZIKG München, 2014). Danach fungierte sie als Projektkoordinatorin im DFG-geförderten Projekt »Bewegte Netze. Bauhaus-Angehörige und ihre Beziehungsnetzwerke in den 1930er und 1940er Jahren« an den Universitäten Cottbus (Prof. Dr. Magdalena Droste) und Erfurt (Prof. Dr. Dr. Patrick Rössler), wo sie die Datenbank zu den Bauhaus-Angehörigen maßgeblich mitverantwortete (https://bauhaus.community). Von 2016 bis 2024 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bauhaus-Museum der Klassik Stiftung Weimar, wo sie die Ausstellung zu Gerhard Marcks und seinem Freundeskreis (2017) kuratierte, die neue Dauerausstellung im Haus Am Horn (2019) und die Schau »Vergessene Bauhaus-Frauen. Lebensschicksale in den 1930er und 1940er Jahren« (2021, mit Patrick Rössler.


Dr. Elizabeth Otto ist Professorin für Kunstgeschichte mit Schwerpunkt auf moderner und zeitgenössischer europäischer Kunst und Medien sowie Gender- und Sexualitätsstudien an der University at Buffalo, State University of New York (seit 2004); dort Exekutivdirektorin des Humanities Institute (HI) (2013-19) und Direktorin des HI (2023- ). Promotion an der University of Michigan (2003), dafür Forschung an der TU Berlin (1999–2001) und der FU Berlin (2001–2003), unterstützt durch Stipendien des DAAD, des Center for the Education of Women, des Berlin Program for Advanced German and European Studies, der American Association of University Women und ein Postdoc-Stipendium der Queen's University. Als Professorin weitere Stipendien u. a. von der Alexander von Humboldt-Stiftung, dem Center for Advanced Studies der LMU München, dem Getty Research Institute, dem Institute for Advanced Studies in Princeton, dem National Humanities Center und dem US Holocaust Memorial Museum. Autorin von Tempo, Tempo! Bauhaus-Photomontagen von Marianne Brandt (2005), dem Katalog zur ersten von ihr kuratierten Ausstellung (im Bauhaus-Archiv Berlin, im International Center of Photography in New York und im Harvard Busch-Reisinger Museum). Preisträgerin des Peter C. Rollins Book Prize der Northeast Popular Culture Association für ihr Buch Haunted Bauhaus. Occult Spirituality, Gender Fluidity, Queer Identities, and Radical Politics (2019). Co-Autorin von Frauen am Bauhaus. Wegweisende Künstlerinnen der Moderne (2019). Seit 2019 forscht sie an ihrem nächsten Buch, Bauhaus Under Nazism: Creativity, Collaboration, and Resistance in Hitler's Germany, 1933–1945. Co-Kuratorin von »4 Bauhausmädels« (2019) und Mitherausgeberin von Büchern wie The New Woman International. Representations in Photography and Film from the 1870s through 1960s (2011), Passagen des Exils (2017), Art and Resistance in Germany (2018) und Bauhaus Bodies: Gender, Sexuality, and Body Culture in Modernism’s Legendary Art School (2019) sowie eine in Kürze erscheinende Sonderausgabe der Zeitschrift für Kunstgeschichte zum Thema »Archival Absences: An Incomplete History of Photography«.


Dr. phil, Dr. rer.soc. Patrick Rössler ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Empirische Kommunikationsforschung/Methoden an der Universität Erfurt (seit 2000), dort Dekan der Philosophischen Fakultät (2009-11) und Vizepräsident für Forschung und wiss. Nachwuchs (2011-14); zuvor Studium der Publizistik, Rechts- und Politikwissenschaft (JGU Mainz, 1982-86), Hochschul- und Projektmitarbeiter an der Uni Hohenheim (1987-1996) und der LMU München (1996-99), 2004 Gastprofessur an der Annenberg School for Communication (University of Southern California, Los Angeles, USA). Promotionen in Kommunikationswissenschaft (Uni Hohenheim, 1997) und Kunstgeschichte (BTU Cottbus-Senftenberg, 2022). Von 2006 bis 2008 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK), anschließend 2008-10 Präsident der International Federation of Communication Associations (IFCA, weltweiter Dachverband der kommunikationswissenschaftlichen Fachgesellschaften), seit 2011 Korrespondierendes Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels; Träger des Deutschen Preises zur Förderung der Buchkultur (Antiquaria-Preis, 2022). Forschung u.a. zu visueller Kommunikation in historischer Perspektive und zum Bauhaus; DFG-Projekt »Bewegte Netze. Bauhaus-Angehörige und ihre Beziehungsnetzwerke in den 1930er und 1940er Jahren« (mit M. Droste). Publikationen u.a. zur Bauhaus-Typografie, zu Herbert Bayer und zur Zeitschrift die neue linie; zahlreiche Ausstellungen zu Presse, Film und Bauhaus in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, den USA und Japan. (Co-)Kurator u.a. der Ausstellungen »mein reklame-fegefeuer. herbert bayer, werbegrafik 1928 – 1938« (2013/14), »Kunst.Ort.Kino. Historische Filmpublizistik 1917-1937« (2017), »Das Bauhaus wirbt« (2019), »4 Bauhausmädels« (2019), »Vergessene Bauhaus-Frauen« (2021/22), »Revolutionäre der Typographie« (2023) und »33 Geistesblitze: John Heartfied« (2024).